Wie wir leben wollen
Was erwarten Menschen von der Stadt der Zukunft? Welche Rolle spielen dabei Digitalisierung, Klimawandel und Arbeit? Fragen rund um die Lebensbedingungen von morgen bilden einen Schwerpunkt im Graz Kulturjahr 2020 und wurden bei der Auftaktveranstaltung »ZEIT für GRAZ« in Vorträgen und Podien diskutiert.
Ein »Klima-Club der Willigen« – so lautete der Vorschlag von HansWerner Sinn auf die Frage nach einem politischen Hebel, um den globalen CO2-Ausstoß zu verringern. Dieses Ziel sei aber im nationalen Alleingang nicht zu erreichen, warnte der Wirtschaftswissenschaftler. Denn obwohl westliche Staaten längst messbar Schadstoffe einsparten, stiegen die globalen Emissionen an: »Europa drückt den Weltmarktpreis und die USA freuen sich, dass sie ihre SUVs billiger fahren können.« Effektiv sei nur ein freiwilliger Zusammenschluss mit Ländern wie China, den USA und Indien. Wenn diese sich intern auf Schadstoffreduktionen einigten und untereinander Freihandel betrieben, könnte das auch für andere attraktiv werden, so Sinn. Daniel Dahm, Naturwissenschaftler und Aktivist, stellte dagegen den Imperativ in den Raum, Wirtschaft und Ökologie neu zusammenzudenken. Seine These: Soziale Marktwirtschaft und der Kapitalismus bildeten längst einen Gegensatz. Sein Beispiel: Ein demeter-Betrieb stehe per se schlechter da als ein konventioneller Agrarbetrieb, weil dieser höhere Erträge vorweisen könne. »Der Biohof hat zwar in seine eigenen Produktionsgrundlagen reinvestiert, was sich auch in der Fruchtbarkeit seines Landes widerspiegelt, aber der so entstandene Nutzen wird ökonomisch nicht abgebildet.« Auch der Finanzmarkt orientiere sich an Maximalerträgen, nicht an nachhaltiger Produktivität und trage damit zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen bei. Gefragt sei ein radikales Umdenken. »Wie lassen sich auch nichtfinanzielle Informationen in die Finanzanalyse, das Risikomanagement, die Unternehmensbewertung und Rechnungslegung einbringen?« Darüber hinaus plädierte der Kulturaktivist an die Stadtgesellschaft, mehr in immaterielle Güter wie Musik, Kunst und Bildung zu investieren. »Ein gutes Leben bedeutet immer auch Austausch und gemeinschaftliche Lernprozesse.«
Die Nachberichterstattung zu ZEIT für Graz erschien in der ZEIT-Ausgabe vom 5. Februar 2020.